Inklusive und diverse Beteiligung hat das Ziel, allen Kindern die Möglichkeit zur Beteiligung zu geben. Wir knüpfen damit an einen weiten Inklusionsbegriff an [1], der personen- und gruppenbezogene Behinderungen und Beeinträchtigungen einschließt und dabei alle gesellschaftlichen Barrieren in den Blick nimmt und zu überwinden versucht, die die gleichberechtigte Beteiligung aller jungen Menschen verhindern.
Neben den Bestimmungen des Artikels 12 geht es um das Grundprinzip des Diskriminierungsverbots, das in allen Menschenrechtskonventionen seit der Charta der Vereinten Nationen (1945) hervorgehoben und in der UN-Kinderrechtskonvention an prominenter Stelle bestätigt wird (Lansdown 2022).
Artikel 2: Achtung der Kindesrechte; Diskriminierungsverbot
(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.
(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.
Nichtdiskriminierung im Sinne des Artikels 2 der UN-KRK [2] bedeutet, dass jedes Kind, unabhängig von Rasse, Hautfarbe, Herkunft, Sprache, Geschlecht, Religion, Weltanschauung oder einer Behinderung, dieselben Rechte besitzt. Diese Aufzählung von Diskriminierungsgründen ist nicht abschließend zu verstehen, sondern offen gemeint. In der englischen Originalfassung ist von „dicrimination of any kind“ bzw. von „all forms of discrimination“ die Rede (Lainpelto 2023, 86). So fehlt in der Aufzählung zum Beispiel die Altersdiskriminierung (oder auch als Adultismus bezeichnet), die in Artikel 12 der KRK deutlich angesprochen wird. In Artikel 2 fehlt zudem eine präzise oder gar abschließende Definition von Diskriminierung. Diese begriffliche Offenheit ist so zu verstehen, dass die öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung von Diskriminierungstatbeständen gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen sind. Im Sinne der UN-KRK kommt den betroffenen jungen Menschen eine besondere und aktive Rolle zu (agency), wenn es darum geht, ihre spezifischen Diskriminierungserfahrungen zu thematisieren. Das gilt nicht zuletzt für die oben genannte Diskriminierung durch Erwachsene, die ihnen z.B. jene Kompetenzen absprechen, die für eine gleichberechtigte Teilhabe an Partizipationsprozessen unabdingbar sind [3].
Im seinem Allgemeinen Kommentar fordert die UN-Kinderrechtskommission zum Beispiel dazu auf, „dem Recht des Mädchens, gehört zu werden, besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und falls nötig, Unterstützung“ zu geben (GC 12, 77). Die UN-KRK spricht gezielt zwei weitere Gruppen von jungen Menschen mit besonderem Schutz- und Förderbedarf an:
Der Allgemeine Kommentar zu Artikel 12 empfiehlt z.B. Kinder in Flüchtlingsunterkünften zu ermutigen, Kinderforen einzurichten, die zu ihrer Sicherheit und ihrem Wohlbefinden beitragen können (GC 12, 126)
Auch wenn die Beteiligungsrechte in diesem Zusammenhang nicht eigens erwähnt werden, erlaubt die UN-KRK keinerlei rechtliche Abstriche, sondern sie betont stattdessen den besonderen Förderbedarf, um auch Kindern mit Einschränkungen eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit auch an Beteiligungsprozessen zu ermöglichen.
Inklusive Beteiligung wendet sich nicht nur gegen Diskriminierungen aller Art, sondern geht positiv von einer sozialen und kulturellen Vielfalt junger Menschen aus, die ihre gemeinsamen Interessen in Beteiligungsprozessen aushandeln und dabei auf besondere Anliegen Rücksicht nehmen. Diskriminierungsfreie Beteiligung trägt dieser Pluralität Rechnung. Nur so kann die Umsetzung des „Vorrangs des Kindeswohls“ (Art. 3) und des „Rechts auf Leben und Entwicklung“ (Art. 6) für alle jungen Menschen gelingen.
Die Verwirklichung inklusiver Beteiligung ist von der Umsetzung weiterer Kinderrechte abhängig. Dies sind insbesondere das
Der Allgemeine Kommentar begrüßt ausdrücklich die Einrichtung von Jugendparlamenten und Kindergemeinderäten, schränkt aber ein: „Diese Beteiligungsstrukturen formal-repräsentativer Vertretung in der lokalen Verwaltung sollten jedoch nur einer von vielen Wegen sein, Artikel 12 auf der lokalen Ebene umzusetzen, da sie nur einer relativ kleinen Zahl von Kindern ermöglichen, sich in ihren lokalen Gemeinden zu engagieren. Sprechstunden von Politiker_innen und Amtspersonen, Tage der offenen Tür und besuche in Schulen und Kindergärten schaffen zusätzliche Möglichkeiten des Gesprächs“ (GC 12, 127).
Auch in Notsituationen und Folgezeiten gilt Art. 12 unvermindert. Von Notsituation betroffene Kinder sollen aufgefordert und in die Lage versetzt werden, „an der Analyse der Situation und der Zukunftsaussichten teilzunehmen. Partizipation hilft Kindern, Einfluss auf ihr Leben zurück zu gewinnen; sie trägt zur Wiedereingliederung bei, vermittelt organisatorische Fähigkeiten und stärkt das Identitätsgefühl“ (GC 12, 124).
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[1] „Der im deutschsprachigen Raum relativ junge Begriff Inklusion bedeutet, dass alle Menschen überall dabei sein dürfen und teilhaben können. Niemand wird ausgegrenzt, weil er oder sie anders ist, zum Beispiel eine Behinderung, einen anderen Glauben oder eine andere Muttersprache hat. Im Gegenteil: Vielfalt ist willkommen und wird wertgeschätzt. … Inklusion ist weitreichender als Integration. Es geht dabei nicht nur um die (Wieder-) Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund oder zum Beispiel mit einer anderen Religion. Es geht darum, dass alle Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit gleichberechtigt teilhaben können und dass Menschen nicht ausgegrenzt werden, weil sie anders sind oder es als zu schwierig erscheint, sie gut zu unterstützen. Damit Inklusion möglich wird, müssen sich die Kultur und die Praxis in vielen unserer regulären Einrichtungen und Organisationen noch ändern. Zum Beispiel müssen Gebäude dafür rollstuhlgerecht sein“ (Doose 2011).
Dieses Inklusionsverständnis prägt auch den Allgemeinen Kommentar zu Artikel 12 (GC Art.12, 134).
[2] In der englischen Originalfassung lautet Artikel 2:
„1. States Parties shall respect and ensure the rights set forth in the present Convention to each child within their jurisdiction without discrimination of any kind, irrespective of the child's or his or her parent's or legal guardian's race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national, ethnic or social origin, property, disability, birth or other status.
2. States Parties shall take all appropriate measures to ensure that the child is protected against all forms of discrimination or punishment on the basis of the status, activities, expressed opinions, or beliefs of the child's parents, legal guardians, or family members.”
[3] Eine machtkritische Einführung zu dieser Form der Diskriminierung bieten Liebel/Meade 2023 und eine Schrift speziell für Jugendliche (Liebel/Meade/Welz 2023). Gelegentlich wird die systematische Abwertung und der Missbrauch von Kindern durch Erwachsene auch als „childism“ bezeichnet (vgl. Young-Bruehl 2013; Adami 2023). Allerdings wird dieser Begriff auch in emanzipatorischer Absicht (in Analogie zu Feminismus) gebraucht, um herrschende Altersnormen herauszufordern (vgl. childism.org).
[4] Nach Daten einer von der Körber Stiftung beauftragten Befragung hatte bereits im Februar 2024 knapp jeder vierte Jugendliche oder junge Erwachsene in den Wochen zuvor gegen Rechtsextremismus demonstriert (Körber-Stiftung 2024).
Autor: Prof. Dr. Roland Roth
Die UN-KRK bietet zentrale Normen für die Ausgestaltung inklusiver Beteiligung. Aber sie enthält weder einen umfassenden Katalog von Diskriminierungsformen noch detaillierte Hinweise, wie inklusive Beteiligung für Kinder und Jugendliche ausgestaltet werden kann. Die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Beteiligung von jungen Menschen ist nicht Realität, sondern ein Entwicklungsziel. Dafür sprechen zahlreiche Programme und Dokumente, die von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisation im letzten Jahrzehnt vorgelegt worden sind. Sie signalisieren verstärkte Aufmerksamkeit für einen breit wahrgenommenen Mangel, greifen gute Beispiele auf und formulieren Leitlinien für eine diskriminierungsfreie/re Beteiligung.
Inklusive Beteiligung, die sich an Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Kontexten wendet, steht zunächst vor drei Herausforderungen:
Bei der Planung und Durchführung ist darauf zu achten, dass Beteiligungsprozesse in ihrer Struktur, ihrem Ablauf und ihren Ergebnissen selbst nicht diskriminierend wirken. Das Ziel ist, dass der Beteiligungsprozess dazu beiträgt, gesellschaftliche Diskriminierungen abzubauen.
Welche Anforderungen stellen sich an Beteiligungsprozesse?
Welche Zugänge und Beteiligungsformate inklusiver Beteiligung gibt es?
Es gibt unterschiedliche Wege zur inklusiven Beteiligung. Grob lassen sich drei Zugänge unterscheiden, die auch in Kombinationen genutzt werden:
Die Zahl der Beteiligungsformate und -methoden ist kaum zu überblicken. Das gilt auch für ordnungsstiftende Sortierungen. Am bekanntesten dürften die „Beteiligungsleitern“ sein, die aus der Stadtplanung stammen und selbstorganisierten Beteiligungsprozessen eine Spitzenstellung einräumen. Ein Handbuch von 2017 stellt bereits acht unterschiedliche Partizipationsmodelle vor (Grace/Grace 2017). Noch komplexer ist der von Waldemar Stange vorgestellte „Beteiligungswürfel“. Die internationale Unicef-Initiative Kinderfreundliche Kommunen unterscheidet drei Partizipationsebenen:
Die Übergänge zwischen diesen Ebenen ist fließend und jede der drei Beteiligungsebenen kann für bestimmte Zwecke angemessen sein. Diese Unterscheidung macht auch deutlich, dass Inklusion für jede der Beteiligungsebenen eine Rolle spielt. Konsultationen und kollaborative Angebote können breit angelegt sein oder nur eine homogene Gruppe von jungen Menschen ansprechen. Ob ein Kinder- und Jugendbeirat mit eigenem Budget und Entscheidungsfreiheit inklusiv angelegt ist, entscheidet sich nicht zuletzt an seiner Zusammensetzung. Es bedarf somit besonderer Anstrengungen, damit die gewählten Zugänge und Beteiligungsebenen in der Praxis inklusiv wirken.
Autor: Prof. Dr. Roland Roth