Straßen für Kinder – Möglichkeiten, das Straßenspiel zu fördern

Ein Fachbeitrag von Jürgen Brodbeck

Kinder spielen gern in ihrem direkten Wohnumfeld – und damit auch in der Nähe von Straßen oder direkt auf den Straßen. Außenräume stellen für sie wichtige Erfahrungsräume dar, die vielfältige Kompetenzen fördern und Lernanlässe bieten. Steigende Fahrzeugzahlen und die Reduktion des öffentlichen Raumes auf Verkehr entzieht Kindern die Grundlage für diese identitätsstiftenden Aneignungsformen. In einigen Städten wurde das Problem erkannt und entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung umgesetzt …

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In Deutschland ist laut StVO die Straße und die Fahrbahn für den ruhenden und fließenden (Auto-)Verkehr reserviert. Das Spielen auf der Straße ist nicht erlaubt. Ausnahmen sind: 

  • der verkehrsberuhigte Bereich (Verkehrszeichen 325), im Volksmund „Spielstraße“ genannt 

  • die Spielstraße (Verkehrszeichen 250 mit Zusatzschild „Spielstraße“) 

  • das Spielen oder Nachbar_innenschaftsfeste auf gesperrter Straße, als Sondernutzung beim entsprechenden Ordnungsamt beantragt 


Natürlich wird in Nebenstraßen mit Wohnbebauung dennoch schon immer gespielt. Dass das Spielen auf der Straße in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, ist Folge des zunehmenden Fahrzeugbestands (alles ist zugeparkt, den Autos darf nichts passieren), des abnehmenden Sicherheitsgefühls (Gefahren des Verkehrs, Gefahren vor Übergriffen), aber auch der zunehmenden Verhäuslichung und Verinselung der Kinder.

 

  • Verkehrsberuhigter Bereich „Light“ – Beispiel Freiburg im Breisgau

Es ist schwierig, eine bestehende Straße im Wohngebiet in einen „verkehrsberuhigten Bereich“ umzuwandeln. Hierfür müsste der Straßenquerschnitt verändert werden, das heißt die ganze Oberfläche zu einer einheitlichen Verkehrsfläche neu gestaltet werden. Die Verkehrsteilnehmenden müssen die Straße nicht nur durch die Beschilderung, sondern auch durch deren Charakter als „verkehrsberuhigten Bereich“ erkennen. Dafür fehlen meist der politische Wille und das Geld und wenn die Straße endlich umgebaut sein sollte, sind die Kinder, die dort spielen wollten, längst rausgewachsen.

Einen eigenen Weg geht die Stadt Freiburg im Breisgau. Hier wird in bestehenden Wohnstraßen, die den üblichen Querschnitt aufweisen (Gehweg – Fahrbahn – Gehweg) der Charakter der Straße durch baulich einfach, kostengünstig und schnell umsetzbare Elemente verändert. Dies sind Querstreifen und Poller im Eingangsbereich, farbige Bodenpiktogramme, Einengungen, versetzte Parkplätze und gesonderte Spielbereiche. Beantragt wird die Umwandlung von Anwohnendeninitiativen. Voraussetzung ist, dass eine breite Mehrheit der Anwohnenden der Umgestaltung und Umwidmung der Straße zustimmt. Nach diesem Muster wurden 14 bestehende Wohnstraßen in Freiburg umgestaltet (www.freiburg.de/pb/,Lde/231709.html).

 

  • Temporäre Spielstraße

Spielstraße (Verkehrszeichen 250 mit Zusatzschild „Spielstraße“) bedeutet, dass kein ruhender und kein fließender Verkehr gestattet ist, die Fahrbahn dient nur dem Kinderspiel. Diese Sonderform ist in Deutschland fast gar nicht verwirklicht. Seit einigen Jahren dient sie jedoch als Rechtsgrundlage für die temporäre Spielstraße. 

Durch eine zeitliche Befristung wird die Spielstraße zur temporären Spielstraße und kann den Rest der Zeit als ganz normale Wohnstraße dienen. Die zeitliche Befristung wird durch ein weiteres Zusatzschild (z.B. April-Oktober, mittwochs 15–18 Uhr) kenntlich gemacht. Zur Sicherheit wird zur Spielstraßenzeit (Sperrung) eine zusätzliche Sperre (z.B. Scherensperre) aufgestellt.

Die erste temporäre Spielstraße wurde 2008 im Rahmen eines Bundesforschungsprojekts im Frankfurter Stadtteil Bornheim (Frankfurt am Main) eingerichtet und wird seither jährlich von April bis Oktober angeboten (www.frankfurt.de/sixcms/detail.php? id=2855&_ffmpar[_id_inhalt]=32075313).

In Bremen wünschten sich die Kinder im Rahmen der Spielleitplanung im zentrumnahen Stadtteil Schwachhausen, mehr auf der Straße spielen zu können. Das Amt für Soziale Dienste – zuständig für das Spielen in der Stadt – suchte gemeinsam mit Politik und Straßenverwaltung nach einer Lösung und fand die temporäre Spielstraße. Daraufhin wurden Anwohnendeninitiativen aufgerufen, temporäre Spielstraßen nach dem Frankfurter Vorbild zu beantragen. Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Antrag ist eine deutliche Mehrheit der Anwohnenden für das Vorhaben. Seit 2011 werden in dem Bremer Stadtteil nun jedes Sommerhalbjahr mehrere Straßen einmal wöchentlich zum Spielen gesperrt. Auch Straßen in anderen Stadtteilen sind mittlerweile dazu gekommen.

Die Erfahrung aus dem Frankfurter Bornheim zeigt, dass die temporäre Spielstraße ohne Spielangebote nicht funktioniert. So wird sie dort vom Verein Abenteuerspielplatz Riederwald mit mobilem Material bespielt. In Bremen übernimmt diese Funktion „bemil“ – das Bewegungs- Ernährungs-Mobil vom Verein Spiellandschaft Stadt. Mit den bunten Kisten und Bohlen der Bewegungsbaustelle können sich die Kinder selbst ihre eigenen Bewegungslandschaften und Parcours aufbauen.

Neben den Spielaktivitäten der Kinder ist die temporäre Spielstraße eine Gelegenheit, die Nachbar_innen kennen zu lernen, Netzwerke zu knüpfen und Vereinbarungen zum gegenseitigen Unterstützen zu treffen.

Sehr erfolgreich wird das Konzept der temporären Spielstraße auch in Hackney umgesetzt, einer Vorortgemeinde von London (www.hackneyplay.org/playstreets/home/).

 

  • StraßenSpielAktion in Bremen

 

Foto: StraßenSpielAktion in der Gellertstraße, Bremer Neustadt

Eine weitere, in Bremen vielfach genutzte Möglichkeit, ist die vollständige Sperrung der Straße, um ein Spielfest durchzuführen. Dies ist dann sinnvoll, wenn man dies nur einmalig oder wenige Male pro Jahr durchführen möchte. Auch hierzu müssen die Anwohnenden befragt werden und es darf keinen nennenswerten Protest dagegen geben. Seit 1998 gibt es in Bremen die Straßenspielaktion zum Weltkindertag, an der sich an einem Sonntag im September jährlich 20-50 Straßeninitiativen beteiligen. Um die notwendigen Genehmigungen kümmert sich der Verein Spiellandschaft Stadt, um die Straßensperrung und das Programm vor der eigenen Haustür kümmern sich die Initiativen selbst.

 

Autor

Jürgen Brodbeck, Dipl.-Ing., Geschäftsführer BPLAN-BREMEN, Sachverständiger Kinderfreundliche Kommunen e.V.

 

Weiterführende Literatur und Links:

Broschüre „Spielstraßen auf Zeit“ Arbeitskreis Verkehrssicherheit beim Ministerium Bauen. Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW: 

www.mehr-freiraum-fuer-kinder.de/wp- content/uploads/2015/03/VRS_Handreichung_web.pdf

Zeitschrift „Spiellandschaft Bremen“ 2017 mit dem Schwerpunktthema „Straßenspiel“ Spiellandschaft Stadt e.V., Bremen: www.spiellandschaft-bremen.de/images/Artikel/Zeitschrift-2017_hp.pdf

Spielstraßenblog von SpielLandschaft Stadt Bremen: http://spielstrassenblog.de/
Temporäre Spielstraßen in Hackney bei London: www.hackneyplay.org/playstreets/home/

Eine Sammlung von Zeitungsartikeln, einer Studie und weiteren Veröffentlichungen gibt es beim Bundestagsabgeordneten der Grünen Stefan Gelbhaar: www.stefan-gelbhaar.de/start/dossier/spielstrasse