International Forum on Child and Youth Friendly Municipalities

Ein Reisebericht von Wolfgang Dietz

Kinderfreundliche Kommunen gibt es nach den Darlegungen der Vereinten Nationen und ihrer Kinderhilfsorganisation UNICEF inzwischen in 40 Ländern der Erde. Die Idee greift weiter um sich. Eine jüngste Initiative hierzu startete UNICEF in der Ukraine. Gerade in einem Land, das in seinem täglichen Leben noch immer stark durch den Konflikt mit Russland geprägt ist, ist es besonders bemerkenswert, wenn sich die politischen Verantwortlichen dem Thema der Kinderrechte und der Gestaltung der kommunalen Ebene zugunsten von Kindern und Jugendlichen widmen.

 

  • Internationales Forum für kinder- und jugendfreundliche Kommunen

Ausgehend von einem gemeinsamen Standpunkt (Memorandum of Understanding) von UNICEF, UNFPA (United Nations Population Fund), diverser ukrainischer Ministerien, dem Verband der Städte und Gemeinden der Ukraine und weiterer dem Jugendwohl gewidmeter Organisationen fand am 1. Juni 2018 in Kiew das Internationale Forum für kinder- und jugendfreundliche Kommunen statt. Das Thema fand große Beachtung. Rund 120 Bürgermeister_innen und Vertretende lokaler Behörden nahmen an dem Treffen teil.

Der Bedeutung der Begegnung entsprechend eröffnete der Premierminister der Ukraine, Volodymyr Groysman, den Kongress. Er unterstrich mit klaren Worten den Willen seiner Regierung, dem Kindeswohl einen hohen Stellenwert beizumessen. Der Oberbürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, bekundete seinerseits den hohen Stellenwert, den die kommunale Ebene der Politik für Kinder und Jugendliche zuordne. Er sprach als Vorsitzender des Verbandes der Ukrainischen Städte.

  • Aufstrebende Stadt Kiew

Die Stadt Kiew mit ihren knapp 3 Millionen Einwohnenden sieht sich dabei in besonderer Pflicht, da die Stadtbevölkerung permanent steigt, ausgelöst durch eine erhebliche Binnenwanderung. Die Menschen versprechen sich in der Stadt Arbeit und Aufstiegschancen. Für mich als einen deutschen Kommunalpolitiker interessant waren auch die Aussagen zur Finanzverteilung innerhalb des Landes, der für diesen Sektor zur Verfügung stehenden Mittel bzw. anstehenden Programme des Staates, von denenwobei die Stadt Kiew den Löwenanteil erhalten wird.

  • Weil am Rhein pflegt den interkommunalen Austausch

Weil am Rhein gehörte zu den Pilotkommunen in Deutschland für den Wettbewerb um das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“. Angestoßen wurde der Prozess seinerzeit durch einen interkommunalen Austausch mit der unmittelbar an Weil am Rhein angrenzenden Schweizer Stadt Riehen, die sich schon zuvor gemeinsam mit UNICEF Schweiz auf den Weg gemacht hatte. Seit der Siegel-Vergabe, am 27. November 2014, steht die Stadt Weil am Rhein (ca. 31.000 Einwohnende) immer wieder im regen Austausch mit Städten und Gemeinden in Deutschland und dem Ausland, die sich über die Schritte des Verfahrens und die in der Stadt umgesetzten Initiativen unterrichten wollen. Schon zwei Delegationen aus Südkorea haben bei ihren Europa-Reisen in Weil am Rhein dazu Station gemacht. Auch in Frankreich hat die Stadt schon für die Idee geworben.

  • Inspirationen aus dem Aktionsplan

Als Oberbürgermeister bin ich daher gerne der Einladung des UNICEF-Büros in Kiew gefolgt, um in einer Grundsatzrede nach den beiden vorgenannten nationalen Politikern der Ukraine den Weg der Stadt Weil am Rhein zum Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ vor einem interessierten Publikum darzulegen. Ziel des Vortrages war es, die Kolleg_innen zu ermutigen, ihrerseits die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Anhand der konkret vorbereitenden Maßnahmen, wie den Stadtspaziergängen, dem Stadtspiel, den Workshops mit örtlichen Jugendorganisationen, dem Einbezug des Jugendparlaments (JuPa), der Mitarbeitendeschulung in der Stadtverwaltung, den Gesprächen mit den Gemeinderät_innen entstand ein Kaleidoskop von Optionen wie der Prozess gestaltet werden kann.

  • Vorbild Jugendparlament

Aus den Rückfragen zum Vortrag und im nachmittäglichen Kolloquium sowie in den Gesprächen am Rande konnte ich ein besonderes Interesse am Thema Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen erkennen. Besonders aufmerksam wurden die Aussagen zum in Weil am Rhein seit 25 Jahren bestehenden Jugendparlament verfolgt. Es wird von Jugendlichen im Alter von 14 bis 20 Jahre auf eine Mandatszeit von zwei Jahren gewählt. Das Jugendparlament umfasst 18 Sitze. Als ein Resultat aus dem Weiler Maßnahmenplan verfügt es seit Kurzem auch über ein eigenes Budget, mit dem Kinder- und Jugendprojekte seit Kurzem autonom vom Jugendparlament unterstützt werden können. Die bisherigen Erfahrungen, mit dieser Form der Selbstverwaltung sind positiv, tragen sie doch auch dazu bei, Verantwortung zu übernehmen. Im Übrigen wird es bei allen jugendrelevanten Themen (aktuell z.B. Stadtplanung, Rheinparkerweiterung, Kommunale Kriminalprävention, Bau eines Jugendhauses) angehört.

Unter unseren Projekten galten Rückfragen und Interesse zudem den Stadtspaziergängen und der Entwicklung und dem Bau des Street Workout Parks. Diesen hatten Jugendliche im Gespräch mit der Stadtverwaltung angeregt und er konnte im  Bereich neben den zentralen Sportanlagen und dem Freizeitbad Laguna verwirklicht werden.

  • Großes Interesse an Kinderfreundlichkeit in Kommunen

Im Laufe des Nachmittags schilderten der Bürgermeister von Postojna (Slowenien), Igor Marentic, und über eine Video-Botschaft Geschäftsführerin von Sharjah Baby Friendly Office Frau Dr. Hessa Kalfan Al Ghazal aus Sharjah, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ihre lokalen Anstrengungen und Erfahrungen.

150 Ukrainische Städte haben ihr grundsätzliches Interesse an einem Weg zur kinderfreundlichen Kommune bekundet. Die Vertretenden von elf „Kandidatenstädten“, in der Regel ein/e Bürgermeister_in oder ein/e Vertreter_rin der Stadtverwaltung, schilderten ihre bisherigen Vorstellungen. So geriet deren Präsentation für die Außenstehenden geradezu zu einer „Ukraine-Rundfahrt“ mit Einblicken in die jeweiligen kommunalen Herausforderungen und Schwerpunkte.

Zu beobachten war eine große Spreizung der Kommunen bei den Bevölkerungszahlen: zwischen 10.000 Menschen in ländlichen Gebieten bis hin zu Städten wie Odessa (1 Mio. Einwohnende) oder Mariupol (450.000 Einwohnende).

  • Kommunale Kinderfreundlichkeit auch auf Landesebene von Bedeutung

Die Palette der Angebote, der Interessenlagen und der Aufgabenstellungen für die Lokalbehörden und Städte war außerordentlich vielfältig. Vorschläge waren dabei unter anderem: „saubere und kostenlose Wasserversorgung in den Schulen“, „kostenlose Schulspeisung“, „Auszeichnung von Jugendsportler_innen“, „Kameras in Schulen zur besseren Sicherheit“, „Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen für besseren Berufseinstieg“, „Ausstattung von Musikschulen“, „Radwegenetz für die Schüler_innenschaft“, „Einführung und Verbesserung von öffentlichem Nahverkehr“, „Verbesserungen der Sicherheit im Straßenverkehr“, „Auszeichnung exzellenter schulischer Leistungen durch den Bürgermeister_innen“, „Einrichten einer Fußballakademie“. In vielen Fällen war erkennbar, dass das Thema kinderfreundliche Stadt in den Vorstellungen der politischen Verantwortlichen Hand in Hand geht mit dem Ziel, die öffentliche Infrastruktur zu verbessern, Maßnahmen der Sozialpolitik oder der Bildungspolitik zu ergreifen. Dies erklärt auch das lebhafte Interesse von Vertretenden der Ministerien für Jugend und Sport, Sozialpolitik und regionaler Entwicklung, die entweder durch das ihren Ministerium oder auf Staatssekretaritatsebene vertreten waren.

  • Krieg verändert die Bedürfnislage

Im Angesicht der kriegerischen Situation in der Ostukraine war es nicht verwunderlich, dass mehrere Städte sich mit dem Thema der Unterbringung und Ernährung von Geflüchteten, der schulischen Versorgung der Kinder und der Betreuung von Waisenkindern auseinandersetzen müssen. Aus der Stadt Druschkiwka (ca. 70.000) in der Donezk Region, die vom Berg- und Maschinenbau geprägt ist, wurde beispielsweise berichtet, dass man aktuell 11.000 Geflüchtete in der Stadt hat. Sauberes Wasser und gesicherte Wasserversorgung, Obdachlosenversorgung, sichere Schulen wurden als Prioritäten genannt. Aufgrund des Krieges berichteten die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Novoukrajinka, dass sie zwölf Tage für ihre Anreise nach Kiew benötigt hätten.

Von großem Interesse für mich waren auch zahlreiche Gespräche, die ich im Zuge des Kongresses mit Mitarbeitenden des UNICEF-Büros in Kiew führen konnte. Unter der Leitung von Giovanna Barberis kümmert sich das Büro sehr stark um die humanitäre Hilfe. Aus anderen Gesprächen war viel Lob für die Arbeit der deutschen Bundesregierung zu hören. Sie spiele eine moderierende und helfende Rolle. Immer wieder wurde das Thema Wasserversorgung zitiert, zumal eine Hauptwasserversorgung mitten durch das Kriegsgebiet führt und mehrmals die von den Ukrainern als „contact line“ bezeichnete Frontlinie quert. 

  • Fazit

Auf dem Kongress war eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Es bestand hohes Interesse an gegenseitigem Erfahrungsaustausch der ukrainischen Städte untereinander und an Informationen über die Praxis in anderen Ländern. Die Bedingungen im Land zwingen die Verantwortlichen, sich mit Sachverhalten der Grundversorgung auseinander zu setzen, die für uns als Deutsche sehr weit weg erscheinen, weil sie Lebenssituationen betreffen, für die wir zur Selbstverständlichkeit gewordene Lösungen haben – und die unsere Öffentlichkeit gar nicht als existentielle Problemstellung erkennen.

Geradezu praktisch und handfest wurde der Kongress an seinem Ende, als sich zwei Initiativen von Bürger_innen und Bürgern vorstellten. Darunter war eine Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Stadt für Mütter und Väter Eltern mit kleinen Kindern zugänglicher zu machen.

Es hat Freude bereitet, UNICEF Ukraine für einen Informationsaustausch zur Verfügung zu stehen und die Erfahrungen mitzuteilen, die wir in Weil am Rhein auf dem Weg zum Siegel und seither mit unserem Aktions- und Maßnahmenplan gemacht haben.

Autor

Wolfgang Dietz (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Weil am Rhein