Die Strahlkraft Kinderfreundlicher Kommunen

Ein Reisebericht von Anna Schledorn

Im letzten Sommer reiste eine chinesische Delegation durch Deutschland, um sich Kommunen anzusehen, die mit dem Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ ausgezeichnet wurden. Die Fachkräfte aus den Bereichen der Stadtplanung sowie Frauen- und Kinderförderung der Stadt Shenzhen kamen nach Regensburg, um sich über das Vorhaben, die Projekte und Maßnahmen, die Regensburg für Kinder, Jugendliche und Familien durchführt, zu informieren.

  • Gäste aus Shenzhen in Regensburg

Die Federführung für die Kinderfreundlichkeit der Stadt liegt beim Amt für kommunale Jugendarbeit. Hierfür bin ich zuständig. Meine Aufgabe war es die Chinesen durch Regensburg zu führen und Vorträge zu der Thematik vorzubereiten. Die Gäste waren von den hiesigen kinderfreundlichen Bemühungen sehr angetan. Die systematische Vorgehensweise der Spielleitplanung hat Herrn Liu Lei, den Leiter vom „Urban Planning & Design Institute Shenzhen“, begeistert. Die Vertreter der „Shenzhen Women and Children’s Development Foundation“ waren hingegen sehr an praktischen Beispielen der kommunalen Jugendarbeit, wie dem Spielbus, dem Abenteuerspielplatz der Regensburger Eltern und den Jugendzentren interessiert.

Als die Delegation sich verabschiedete deuteten sie an, dass sie sich freuen würden, wenn ich die Vorträge für ihre Kollegen und Kolleginnen in China halten könnte. Ich habe diesen Wunsch als eine Höflichkeit interpretiert und nicht weiter darüber nachgedacht.

  • Einladung nach China

Um so größer war meine Überraschung, als ich im Herbst tatsächlich eine offizielle Einladung seitens der „Shenzhen Women and Children’s Development Foundation“ und des „Urban Planning & Design Institute of Shenzhen“ bekam. Sie baten mich als „Speaker“ auf einer Konferenz zum Thema „Child Friendly City Shenzhen“ zu sprechen und boten an, alle anfallenden Kosten für Flüge, Kost und Logie zu übernehmen.

So kam es, dass ich kurze Zeit später damit beschäftigt war zwei Workshops und einen umfangreichen Vortrag vorzubereiten, ein Visum für China zu beantragen und mich gegen verschiedene Krankheiten – die es bei uns gar nicht gibt – impfen zu lassen.

Ehrlich gesagt, hatte ich den Arbeitsaufwand für die Vorbereitung etwas unterschätzt. Alle Unterlagen mussten von mir auf Englisch eingereicht werden und dann vor Ort auf Chinesisch übersetzt werden. Ich musste nicht nur drei Powerpoint-Präsentationen vorbereiten, sondern auch noch den fertig geschriebenen Vortrag vorher abgeben. Je mehr ich mich mit China und dem dort vorhandenen sozialen System beschäftige, um so mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach Kenntnisse über unser soziales System und die vorhandenen Angebote für Kinder und Familien voraussetzen konnte. Um zu verstehen, welche Maßnahmen die Stadt Regensburg für das Projekt „Kinderfreundliche Kommune“ beschlossen hat, sollte klar sein, auf welches System diese Maßnahmen aufbauen. Ich musste grundlegend erklären, was Regensburg in Sachen Kinder- und Familienfreundlichkeit anbietet und warum.

  • Shenzhen – City of Design

Am 4. Dezember stieg ich dann nach langer Reise bei 27 Grad und strahlendem Sonnenschein in Hongkong aus dem Flugzeug. Ich wurde von einem Fahrer abgeholt und nach Shenzhen gebracht. Shenzhen ist eine moderne Metropole, die innerhalb von 30 Jahren von einem Dorf zu einer 15 Millionenstadt wuchs. Die Stadt liegt zwischen dem Meer und einer Bergkette. Sie ist recht schmal und dafür aber über hundert Kilometer lang. Mein Hotel und der Tagungsort waren im „älteren“ mittleren Teil Shenzhens untergebracht, in dem – wie mir erklärt wurde – ein Großteil der lokalen Regierung seinen Sitz hat.

Mein erster Eindruck wurde geprägt von riesigen Hochhäusern, viel Verkehr und Straßen, die breiter sind als jede Straße, die ich bis dahin je gesehen hatte, aber auch von breiten Bürgersteigen, vielen Bäumen und unzählig vielen gelben Leihfahrrädern.

An jeder Straßenecke, auf Bürgersteigen und teilweise sogar auf Zufahrtsrampen zu Schnellstraßen stehen diese kleinen gelben Fahrräder. Deshalb haben die Bewohner Shenzhens auch keine eigenen Fahrräder mehr. Wenn sie mit dem Fahrrad fahren wollen, zücken sie einfach ihr Handy, scannen einen QR-Code, der am Fahrradschloss angebracht ist und schon geht es los. Danach wird das Fahrrad an der nächstbesten Straßenecke geparkt. Die Leihgebühren sind angeblich so niedrig (nur wenige Cent), dass ein Großteil der Einwohner die Fahrräder nutzt. Eigentlich eine tolle Sache, wenn nicht manche Leute die Fahrräder einfach am Straßenrand auf einen großen Haufen schmeißen würden und diese dann auf einem Müllberg enden.

Was mir an der Stadt gut gefällt, ist dass die Stadtplaner darauf geachtet haben, angeblich ca. 50 Prozent aller Straßen mit großen Bäumen zu versehen und viele große und kleine Parkanlagen zu schaffen – trotz des rasanten Wachstums und des großen Drucks auf die Freiflächen. In vielen Plätzen und Straßen sieht man relativ große Bäume, die noch abgestützt werden. Wie mir erklärt wurde, erkennt man daran, dass sie frisch gepflanzt wurden. Damit es nicht zu lange dauert, bis sie wachsen, werden anscheinend gleich relativ große Bäume eingepflanzt. Auch konnte ich immer wieder grüne Flächen und sogar Bäume auf Dächern bzw. schrägen Wänden sehen.

Die Parks erinnern zum Teil an botanische Gärten. Sie sind sehr kunstvoll angelegt und gepflegt. Eigentlich wären sie schöne Orte der Ruhe, würde nicht an vielen Stellen chinesische Meditationsmusik aus Lautsprechern dröhnen. Spielflächen konnte ich keine finden in den Parks und auch sonst nicht in der Stadt.

  • Eine junge Stadt mit aktiven Alten

Dafür sah ich allerdings jede Menge „spielende“ Rentner: Sie machen Sport und Schwertkampf auf den Wiesen und Kunststückchen mit Drehkreiseln und anderen akrobatischen Materialien wie z.B. Diabolos. Außerdem gab es mitten im Park mehrere große Gruppen von älteren Damen,  die zu lauter Diskomusik in einer Art chinesischer Tanzaerobic schwitzten.

Die Stadt ist nicht langsam dynamisch gewachsen, sondern von Designern entworfen. Alles in Shenzhen ist neu. Es gibt quasi nichts, das älter als 30 Jahre ist. Selbst das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei ca. 30 Jahren. Und die Stadt wächst stetig weiter. Wie mir Herr Liu Lei, Leiter der Stadtplanung, rechnen sie damit, dass die Stadt in ca. 10 Jahren um die 30 Millionen Einwohner haben wird. Dadurch gibt es viele brandneue Gegenden. Ich bekam beispielsweise Chinas erstes großes Design Museum zu sehen – entworfen vom Architekten Fumihiko Maki –, welches erst in dieser Woche eröffnet worden war, und auch das gerade fertiggestellte Sportstadion. Auch die Ausgeh-Areale sind häufig neu. Sie haben sich nicht langsam entwickelt, sondern wurden im Zusammenhang mit Shopping-Malls als Unterhaltungszentren mit Restaurants und Kneipen, Brunnen und verspielten Designelementen von einem Architekten entwickelt und dann auf die Schnelle gebaut. Shenzhen wurde von der UNESCO als „City of Design“ ausgezeichnet. Viele schöne Beispiele moderner Architektur und modernen Designs kann man in Shenzhen finden.

Allerdings musste alles so schnell gebaut werden (wie Herr Liu Lei mir anvertraute), dass dabei leider selten auf die Bauqualität geachtet wurde. So ist die Stadt jetzt auch noch damit beschäftigt 30 oder 20 Jahre alte Häuser schon wieder zu sanieren. Das war auch deutlich an meinem fünf Sterne Hotel zu sehen: Alles war wirklich schick und durchdesignt. Aber die hübschen scheinbar dunklen Holzflächen waren lediglich mit einer Plastikfolie mit Holzdruckoptik überzogen und in den Fugen im Badezimmer sammelte sich nicht nur der Schimmel, sondern die Fliesen waren nicht ordentlich angebracht und sahen aus, als müssten sie immer wieder neu angeklebt werden.

  • Workshops und Vorträge zum Thema „Kinderfreundlichkeit“

Das Thema des Workshops, den ich am Nachmittag hielt, war „Kinderfreundliche Stadtplanung und Stadtentwicklung“. Hier ging es um das strategische Planungsinstrument Spielleitplanung, die Methode „Stadtspieler“ sowie um Qualitätsstandards für eine kinderfreundliche Stadtgestaltung. Im Zweiten Workshop ging es um das Thema Kinder- und Jugendpartizipation. Ich erläuterte, was zu beachten ist, wenn man Kinder- und Jugendliche mitbestimmen lässt und führte mit den Teilnehmer_innen eine Fülle an verschiedenen Partizipationsmethoden durch.

In diesem Vortrag, der schließlich vor vielen Zuhörern stattfand, ging es inhaltlich um Gründe für eine kinderfreundliche Stadtpolitik, um die Vorgehensweise Regensburgs im Projekt „Kinderfreundliche Kommune“ und um die Angebote der Jugendhilfe, die wir in Regensburg haben.

Das Thema „Kinderfreundliche Kommune“ ist eng mit Kinder- und Jugendbeteiligung verknüpft. Meine Aufgabe war es den chinesischen Fachkräften Methoden zur Partizipation an die Hand zu geben. Die Workshops hatte ich als aktive Arbeitstreffen vorbereitet, mit vielen Partizipationsmethoden, die ich den Teilnehmer_Innen durch „learning by doing“ näherbringen wollte. Mein Konzept ging auf. Ich habe selten mit einer so hoch motivieren und interessierten Gruppe gearbeitet wie in China. Die Leute haben den Input hochkonzentriert aufgenommen und in Kleingruppenarbeit sehr kreative Ideen entwickelt. An ihren Fragen konnte ich erkennen, dass sie sich in die Methoden bis ins letzte Detail hineindachten. Es würde mich nicht wundern, wenn sie schon bald die ersten Stadtteile mit der Methode Spielleitplanung erfolgreich untersuchen. Auch wird es wohl bald Spielbusse in Shenzhen geben. Ich hoffe jedenfalls, dass mein Beitrag den Verantwortlichen in Shenzhen hilft, kinderfreundliche Strukturen für die vielen Kinder dieser Metropole zu schaffen.

  • „You and me – we are all just people“

Meine Reise war eine sehr bereichernde Erfahrung und ich habe vieles neues erlebt und kennengelernt. Doch mein stärkster Eindruck von der Reise war, dass Shenzhen gar nicht so fremd und eigenartig für mich war, wie ich erwartete. Ich dachte bis dahin, dass asiatische Länder und ganz besonders China für mich eine völlig fremde und eigene Welt wären. Erwartet hatte ich riesige Kulturunterschiede. Ich las beispielsweise, dass entgegen genommene Geschenke auf keinen Fall auspackt werden sollten. Aber dann war vieles gar nicht so. Beispielsweise war das Öffnen der Geschenke das erste, was die Chinesen nach der Übergabe machten. Und als ich meine ungeöffnet lies, nahmen die Gastgeber sie mir einfach aus der Hand und öffneten sie für mich.

  • Vielleicht liegt es daran, dass viele junge und gebildete Chinesen nach Shenzhen ziehen und es dadurch nicht tief traditionell geprägt ist. Auch ist es so, dass viele junge Chinesen im Ausland studieren und dadurch sowohl die chinesische, als auch westliche Kulturen kennen. Mein Haupteindruck war, dass es trotz einiger Unterschiede gar nicht so sehr anders ist. Deshalb war auch meine Antwort, als ich von Anne Fang Huang, der Sekretärin der „Women an Children’s Development Foundation“ nach meinem Eindruck von Shenzhen gefragt wurde: „You know, it’s funny, but, after all I think, you and me we all are just people. It’s not totally different here. The world just became a lot smaller for me.”

Autorin

Anna Schledorn, Dipl. Sozialpädagogin, Jugendhilfeplanerin der Stadt Regensburg im Amt für kommunale Jugendarbeit