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Aktive Fachkräfte in der Kommunalpolitik
Wir leben auch im Jahr 2018 nicht in einem „Kinderparadies“, und an dieser Stelle könnten nun Missstände, Versäumnisse und Probleme aufgezeigt werden; stattdessen soll aber ein blitzlichtartiger Kurzrückblick erfolgen, der – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Vielzahl von gesellschaftlichen und insbesondere kommunal-politischen Entwicklungen in Bezug auf die Umsetzung der Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen würdigt und damit Dank sagt den seit vielen Jahren in diesem Themenfeld aktiven Fachkräften und politisch Verantwortlichen.
In den insgesamt 54 Artikeln der UN-Kinderrechtskonvention werden an vielen Stellen zentrale Forderungen zum Kindeswohl, zum Kinderschutz, zur Förderung von Kindern und zur Beteiligung von Kindern ausgeführt. Auf einige dieser Artikel, die insbesondere Bezug nehmen auf kommunale Handlungsfelder, soll im Folgenden eingegangen werden.
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Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe
Die Ausgaben für Transferleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe haben sich bundesweit in den letzten 25 Jahren verfünffacht, von ca. 30 Euro auf über 150 Euro je Einwohner. Die konkreten Ausgaben für beispielsweise die Kindertagesbetreuung lagen in Deutschland 1992 bei ca. 8 Mrd. Euro und belaufen sich im Jahr 2015 auf über 40 Mrd. Euro.
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Gesetzliche Handlungsfelder (Artikel 3, 4)
Vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention (1989) entstand im Jahre 1991 das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) als Nachfolgegesetz des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG), das ebenso wie im Artikel 3 der UN-Konvention im §1 das Kindeswohl an erster Stelle sieht und vorgibt, „positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder-und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.“
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Gemeindeordnungen (Artikel 4)
Auf kommunaler Ebene stellen die für die einzelnen Bundesländer gefassten Gemeindeordnungen (GO) eine Vorgabe für Entwicklungen und Entscheidungen dar. Die Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen verwendet seit 1994 in verschiedenen Paragraphen den Begriff „Einwohner“ statt „Bürger“ und fordert darüber die Kommunen auf, alle Menschen – auch Kinder und Jugendliche – über bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde zu unterrichten (§ 23) und jedem das Recht zu geben, sich über Anregungen und Beschwerden an die Kommune zu wenden (§24). Einwohneranträge können bereits mit 14 Jahren eingereicht werden (§ 25).
Das Land Schleswig-Holstein hat als erstes Bundesland in seiner Gemeindeordnung (2003) eine zwingende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorgegeben (§ 47 f). Die Gemeinde muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Bei der Durchführung von Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, muss die Gemeinde in geeigneter Weise darlegen, wie sie diese Interessen berücksichtigt und die Beteiligung durchgeführt hat.
Auch das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) (seit 01.11.2011) macht
im § 36 „Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“ den Gemeinden ähnliche Vorgaben und berücksichtigt in dieser Form die Interessen und Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen bei kommunalen Planungen.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch das zunächst in Niedersachsen 1996 eingeführte kommunale Wahlrecht für junge Menschen ab 16 Jahren. Weitere sechs Bundesländer sind diesem Beispiel gefolgt und haben das Wahlalter ebenfalls gesenkt.
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Kinderbüros, Kinderbeauftragte, Partizipation (Artikel 12)
Auch wenn es schon vor über 25 Jahren einzelne (projektbezogene) Kinderbüros in Deutschland gab (z.B. „Kinderfreunde“ der Stadt Herten seit 1978), so entwickelte sich die überwiegende Zahl der kommunalen Kinderbeauftragten und Kinderbüros in den 1990er Jahren. Mitte der 1990er Jahre konnten z.B. allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen an die 30 Kinderbüros und Kinderbeauftragte gezählt werden; in der Regel als Anlaufstelle und Interessenvertretung der Kinder in den Kommunen, aber auch zuständig für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei allen städtischen Planungen und Gestaltungen, bei denen Kinder und Jugendliche betroffen sind.
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Straßenverkehr (Artikel 3, 4)
Das Bewusstsein für Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr hat in den vergangenen 30 Jahren einen enormen Schub erfahren. Während vor 25 Jahren (1992) jährlich noch über 50.000 Kinder im Straßenverkehr verunglückten, liegt die Zahl heute mit ca. 28.000 Kindern bei ungefähr der Hälfte. Vor 25 Jahren verloren noch über 500 Kinder im Jahr ihr Leben auf deutschen Straßen, die Zahl liegt heute bei jährlich ca. 25 Kindern und damit um ein 20-faches niedriger. Während in früheren Jahrzehnten eine „autogerechte“ Stadt Ziel kommunaler Planungen war, spielt heute die Verkehrssicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer die entscheidende Rolle. Der Ausbau von flächenhaften Tempo-30-Zonen in Wohngebieten sowie vor Kitas und Schulen, verkehrsberuhigte Zonen, Querungshilfen für Fußgänger, die eigenständige Erreichbarkeit von Spiel- und Freizeitorten sowie Bildungseinrichtungen durch Kinder und Jugendliche und ein intensiver Ausbau von Radwegen zeigen auf, wie sich das Bewusstsein in diesem Handlungsfeld grundlegend und nachhaltig verändert hat.
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Wohnumfeld (Artikel 31)
Auch das Wohnumfeld wurde in den vergangenen 25 Jahren zunehmend in den Blick kommunaler Planungen genommen. Der Ausbau von Spielplätzen und kindgerechte Gestaltungen von Siedlungen sind seit vielen Jahren auf dem Vormarsch. Schulhöfe wurden in den letzten 25 Jahren zunehmend für das Spielen geöffnet und oftmals unter Beteiligung der Kinder gestaltet und ausgebaut. Aus ehemals abgeschlossenen und asphaltierten Pausenhöfen wurden interessant gestaltete Spielhöfe, die auch am Nachmittag, am Wochenende und in den Ferien zum Aufenthalt und Erleben einladen. Der Ausbau von attraktiven – oftmals kommunalen – Spielplätzen, Naturerfahrungsräumen, Freizeitanlagen und Freizeitbädern bietet Kinder und Jugendlichen attraktive (kommunale) Angebote. Eine eigene Fachzeitschrift „Stadt und Raum“ (ehemals „Spielraum“) widmet sich seit vielen Jahren diesem Themenfeld und zeigt u.a. durch den Deutschen Spielraumpreis immer wieder aktuelle und innovative Entwicklungen in deutschen Kommunen auf.
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Kindertagesstätten (Artikel 18)
Kinder haben heute einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Dieser Anspruch hat in den vergangenen Jahren bundesweit zu einem intensiven Ausbau von Kita-Plätzen, insbesondere in der Betreuung unter Dreijähriger geführt. Ebenfalls kann der Ausbau der Ganztagsbetreuung in Kita und Schule als Erfolg für die Unterstützung der Elternerziehung betrachtet werden. Mit enormen Kosten, die von Kommunen, Ländern und dem Bund gesichert werden, können hier die Grundlagen für verbesserte Bildungschancen gelegt werden.
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Schule und Bildung (Artikel 28)
In den letzten 25 Jahren gab es eine Vielzahl von Entwicklungen und Veränderungen im Schulwesen, die aus Sicht der Kinder und Familien sicher (im Nachhinein) nicht immer positiv und nachvollziehbar waren. Dennoch, der Bildungsstand hat sich in Deutschland enorm verbessert, auch zu erkennen an der Zahl der höheren Schulabschlüsse. So lag die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die allgemeine Hochschulreife erlangten, im Jahr 1992 bei 22 Prozent, heute liegt diese Zahl bei über 41 Prozent.
Die Ausgaben für Bildung sind in Deutschland seit 1995 von 76 Mrd. Euro auf über 134 Mrd. Euro im Jahr 2017 gestiegen, im Wesentlichen finanziert über die Haushalte der Länder (in 2017 ca. 94 Mrd. Euro) und Kommunen (in 2017 ca. 29 Mrd. Euro).
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Hilfe für behinderte Kinder (Artikel 23)
Schon vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (2007) greift der Artikel 23 der Kinderrechtskonvention die Hilfe für behinderte Kinder auf. Neben der Entwicklung von Fördereinrichtungen für die gezielte Unterstützung von Kindern mit Handicaps hat das Thema Inklusion gerade in den vergangenen Jahren zum erheblichen Ausbau von individuellen Förderungen durch Inklusions- und Integrationshelfern geführt, mit dem Ziel, behinderte Kinder noch stärker in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen gleichberechtigte Chancen im Bereich der Bildung anbieten zu können.
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Gesundheit von Kindern (Artikel 24, 33)
Nicht alle Kinder sind gesund, aber eine – seit vielen Jahrzehnten – sinkende Säuglings- und Kindersterblichkeit zeigt auf, dass sich die gesundheitliche Situation der Kinder in unserer Gesellschaft insgesamt positiv entwickelt hat. Eine gesundheitliche Grundversorgung mit regelmäßigen Untersuchungen durch Kinderärzte (U-Untersuchungen) und den öffentlichen Gesundheitsdienst (z.B. Einschulungsuntersuchungen, Zahngesundheit) stellen sicher, dass gesundheitliche Probleme und Einschränkungen bei Kindern frühzeitig wahrgenommen und durch individuelle Förderungen und Maßnahmen behandelt werden können. Der Aufbau kommunaler Präventionsketten von der Schwangerschaft bis zum Übergang Schule- Beruf hat in zahlreichen Kommunen zu sinnvollen Vernetzungsstrukturen und zusätzlichen Förderungen beigetragen.
Die seit dem Bundesnichtraucherschutzgesetz 2007 eingeführten Rauchverbote in Gaststätten, Behörden, Sportstätten und vielen öffentlichen Räumen kommen ganz wesentlich auch der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen entgegen und haben zudem zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema geführt.
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Kinderschutzzentren (Artikel 19, 34)
Die UN-Kinderrechtskonvention fordert einen Schutz vor jeder Form körperlicher und geistiger Gewaltanwendung. Auch in diesem Themenfeld hat es auf kommunaler Ebene Entwicklungen gegeben, die Kindern und Jugendlichen diesen Schutz gewähren. So haben sich neben den Einrichtungen der Jugendhilfe und der Erziehungsberatung insbesondere in den letzten Jahren Kinderschutzzentren und Kinderschutzambulanzen entwickelt, die Kindern und Jugendlichen niedrigschwellig als Anlaufstellen zur Verfügung stehen.
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Medien (Artikel 13, 17)
Die UN-Kinderrechtskonvention fordert im Artikel 13 und im Artikel 17, dass Kinder ein Recht auf Information und freie Meinungsäußerung haben und Zugang bekommen zu Informationen und Materialien nationaler und internationaler Quellen. Dass Kinder seit vielen Jahren nicht nur über eigene Kinderkanäle, Kindersendungen und Kindernachrichten informiert werden, sondern mittlerweile über in der Regel eigene Computer und Smartphones in intensiver Form Soziale Medien und den Zugang zum Internet nutzen, lässt die genannten Artikel der UN-Konvention fast als Selbstverständlichkeit aussehen. Von Eltern und Fachkräften der Jugendhilfe wird heute eher ein kritischerer Umgang mit diesen Medien und der oft ungefilterten „Informationsflut“ gefordert und gefördert.
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Öffentlichkeitsarbeit (Artikel 42)
Kinderrechte bekannt machen lautet ein Forderung der Kinderrechtskonvention. Hier wurden in den letzten 25 Jahren unzählige Broschüren und Fachbücher für alle Altersgruppen entwickelt und in Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen zum Einsatz gebracht. Der Umgang mit Kinderrechten hat Einzug genommen in zahlreiche berufliche Ausbildungen (Gesundheit, Soziales, Polizei, Verwaltung, Politik, Recht, Stadtentwicklung …) und sollte weiter ausgebaut werden. So selbstverständlich wie viele Artikel der UN-Konvention für Kinder in unserer Gesellschaft erscheinen, sollte dennoch bei allen nachwachsenden Generationen mit immer wieder neuen, zunehmend auch digitalen Medien, Aktionen und Maßnahmen für diese wichtige Konvention geworben werden.
Literatur
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2017), www.datenportal.bmbf.de, Tabelle 2.3.16, Schulabsolventinnen/ -absolventen.
Micosatt, Gerhard (2017), Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe im Ruhrgebiet. Ergebnisse der Sozialausgabenstudie. FORA
Schröder, Richard (1995). Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und -gestaltung. Beltz, Weinheim und Basel.
Stadt und Raum (2017). Deutscher SPIELRAUM-Preis 2017. In Fachzeitschrift „Stadt und Raum“ 6/2017, 38. Jahrgang, Winsen/Aller.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016), Verkehrsunfälle. Kinderunfälle im Straßenverkehr 2015. Wiesbaden.
Statista (2017). Das Statistik-Portal, de.statista.com; Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland bis 2015.
Autor
Dr. Richard Schröder
Fachbereichsleiter Gesundheit, Bildung und Erziehung und Projektleiter beim Bundeswettbewerb „Zukunftsstadt – Kreis Recklinghausen“, Kreis Recklinghausen