Platz zum Wachsen: Stadtgestaltung für Kinder und Jugendliche

Ein Fachbeitrag von Katalin Saary und Susanne Fuchs

Lebensbereiche für Kinder und Jugendliche werden in der Regel von Erwachsenen geplant. Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen werden dabei nicht immer berücksichtigt oder gar bewusst ignoriert. Wie funktioniert Mitsprache von Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Umwelt, wie ist die rechtliche Situation und welche Beteiligungsformate sind geeignet?

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  • Lebensqualität und Entwicklungschancen

Während 1970 das Verhältnis Kinder zu Autos noch 1:1 war, kommen 2017 auf ein Kind (0-18 Jahre) inzwischen 3,5 private Pkw, entsprechend hat sich auch die Inanspruchnahme der Pkw im öffentlichen Raum sichtbar erhöht. Damit sind sichere Kinderwege und Orte verloren gegangen und damit sinken auch die Kompetenzen der Kinder, eigenständig mobil zu sein. Dabei ist in der Fachwelt der Zusammenhang unbestritten: Erleben und Aneignung setzt Mobilität voraus, aber auch die motorischen Kompetenzen wie auch das Einschätzen von Geschwindigkeiten müssen schrittweise von klein auf erlernt werden.

 


  • Handlungsansätze: Was ist möglich?

Orte für Kinder und Jugendliche unterscheiden sich dabei voreinander, aber auch von Orten für Erwachsene. Kinderorte lassen Aktivitäten zu, die Platz benötigen und zum Spielen anregen, Jugendorte ermöglichen die Teilnahme am öffentlichen Leben, aber auch den Rückzug. Diese Orte in den autodominierten Städten und Gemeinden zu schaffen, ist Aufgabe der Planenden wie der Politik. Verschiedene, bekannte Handlungsansätze ermöglichen die Umsetzung einer kinderfreundlichen Stadt- und Verkehrsplanung:

  • Bauleitplanung: Nahmobilitätsfreundliche Siedlungsstrukturen mit kurzen Wegen zu Kitas, Schulen und Freizeitorten. 
  • Spielraumvernetzung: Kinderfreundliche, sichere Wege zu Kinderzielen.
  • Geschwindigkeitsreduzierung: langsamer Autoverkehr, auch auf Hauptverkehrsstraßen für mehr Sicherheit.
  • Stellplatzsatzung und Parkraumbewirtschaftung: Verringerung der Nutzungsansprüche des ruhenden Verkehrs.
  • Mehr Platz für den Fußverkehr: Um-/ Neugestaltung von Straßen und Plätzen von „außen nach innen“. 
  • Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Planung, sowohl an konkreten Projekten wie auch an Konzepten. 
  • Bewusstseinsschärfung der Erwachsenen für kindliche Belange und Fähigkeiten.
  • Schulisches Mobilitätsmanagement : Vermitteln von Mobilitätskompetenzen und Verkehrserziehung in der Schule sowie organisatorische und infrastrukturelle Rahmenbedingungen für eine eigenständige Mobilität.
  • Kommunale Standards für die Prüfung von Planungen hinsichtlich der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen.
  • Grundsätzlich. Umsetzung bestehender Empfehlungen und Richtlinien, z. B. bei Bau und Beschilderung von Fuß- und Radverkehrsflächen 
  • Verbindliche ressortübergreifende Zusammenarbeit in der Verwaltung. 

 


  • Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist gut für Alle

Die Beteiligung der Kinder ist an sich gesetzlich verankert und sollte daher selbstverständlich sein. In der Realität findet die Beteiligung dann eher nicht statt oder wird beschränkt auf die unterste Ebene, die Information. Dabei zeigt sich in der Praxis, dass Beteiligung von Kinder und Jugendlichen – wenn sie ernst genommen wird – immer auch zu Ergebnissen führt, die allen Generationen zugutekommen.

Dabei muss es nicht immer ein großes Projekt sein, wie die Realisierung der „Bespielbaren Stadt“ in Griesheim, einer Kleinstadt westlich von Darmstadt zeigt. Hier wurden mit Hilfe einer umfassenden Beteiligung der Kinder die Kinderwege systematisch vernetzt. Bewegungselemente entlang der Wege weisen auf Kinder hin und motivieren auch zum selbst Bewegen oder Verweilen. Ein Element war ein Balken, der auf dem Weg zum Friedhof nicht nur Kinder zum Balancieren, sondern Senioren zum Sitzen einlud und so letztendlich zum Projekt der BeSitzbaren Stadt führte. 

 

  • Best Practice in den Aktionsplänen der Kinderfreundlichen Kommunen

In den Aktionsplänen der Kommunen sind fast immer Ziele und Maßnahmen zum Thema Verkehr verankert. 

In Potsdam wurde in 2018 eine Kinder-und Jugendbeteiligung an der Fortschreibung des Nahverkehrsplans durchgeführt. Die Aktion „ABGEFAHREN! – Deine Meinung zu Bus und Bahn in Potsdam ist gefragt“ wurde durch das Kinder-und Jugendbüro, den ViPVerkehrsbetrieb Potsdam GmbH und die Landeshauptstadt Potsdam organisiert. Ca. 500 Kinder und Jugendliche nahmen teil. Ihre Ergebnisse fließen nun in die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes ein.

In Stuttgart wurden temporäre Spielstraßen neu eingerichtet, die von Einrichtungen der Kinder-und Jugendarbeit betreut werden. Drei Aktionen sind Pilotprojekte, um zu testen, wie das Angebot bei Kindern und Anwohnenden angenommen wird. Die durchweg positiven Erfahrungen wurden Ende 2018 dem Gemeinderat vorgestellt. Eine Ausweitung und Fortführung ist für 2019 geplant.

In Regensburg fand bereits 2010/2011 eine Spielleitplanung für die Innenstadt statt. Kinder und Jugendliche äußerten viele Kritikpunkte und Vorschläge zu Verkehrsthemen. So hatten es Kinder als gefährlich und beängstigend empfunden, wenn in den engen Gassen der Altstadt der große Altstadtbus an ihnen eng vorbeifährt. Die Busse dieser Linie wurden deshalb seit 2016 erfolgreich durch kleinere Fahrzeuge ersetzt. Jugendliche sprachen sich für Nachtbuslinien aus, die schließlich nach einem Modellversuch an Wochenenden dauerhaft eingerichtet wurden. Der Wunsch der Kinder und Jugendlichen, das Radfahren in der Altstadt und auf dem Alleengürtel zu erlauben, konnte nach einer Testphase ebenfalls erfolgreich mit Stadtratsbeschluss umgesetzt werden.

 

  • Fazit

Es sollte einen Dreiklang an Maßnahmen geben, um Projekte zur Sicherung der Kinderwege (Spielraumvernetzung) in der eigenen Kommune voranzubringen: Politische Aktivitäten, dazu zählt z. B. die Präsenz in Ausschüssen und Unterstützung von Verwaltungsspitze, u.a. Bürgermeister_in. Intensive Zusammenarbeit zur Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung zwischen Kitas, Schulen und Eltern (Schulisches Mobilitätsmanagement) und eine Stadt- und Verkehrsplanung, die die Nutzung des Raumes im Sinne eines Design für alle ermöglicht und die Beteiligung junger Menschen regelmäßig durchführt.

Bestehende Regelungen z. B. im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und der StVO, z. B. zur Ausweitung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen, die oft langen Zeiträume zwischen Beteiligung und Umsetzung von Maßnahmen, was besonders bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu Frustration und Abkehr führt, stellen die größten Hürden dar.

Dabei gibt es zum einen einfache und preiswert umzusetzende Beteiligungsformate, wie Stadtspaziergänge und Verkehrschecks. Außerdem sind spielerische Ansätze wie „Urban Games“ und ÖPNV-Rallyes geeignet, Kinder zu bewegen und im öffentlichen Raum sichtbar zu machen.

 

Links

www.bespielbare-stadt.de/

https://sjr-potsdam.de/2018/07/abgefahren-befragung-zur-oeffentlichen-verkehrsmitteln-in-potsdam/

https://www.regensburg.de/fm/121/spielleitplanung-16-160929.pdf

https://www.stuttgart.de/item/show/273273/1/9/655840

 

Autorinnen

Katalin Saary

Dipl.-Ing., Inhaberin des Büros Mobilitätslösung in Darmstadt, Bundesvorstand FUSS e.V. – Fachverband Fußverkehr Deutschland und Sachverständige Kinderfreundliche Kommunen e.V.

Susanne Fuchs 

Programmleitung Kinderfreundliche Kommunen e.V.