Mit dem Aktionsplan ein festes Ziel vor Augen haben

Auszug aus einem Vortrag von Michael Heil (Jahrestagung „Kinderrechte im Verwaltungshandeln“ des Vereins Kinderfreundliche Kommunen und des BMFSJ)

Im November 2017 schloss sich Oestrich-Winkel dem Vorhaben „Kinderfreundliche Kommunen“ an. Unsere Stadt beheimatet rund 12.000 Einwohnenende. Davon sind circa 1.940 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Teilhabe junger Menschen ist seit vielen Jahren Thema im kommunalen Geschehen.

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  • Teilhabe strukturell verankern

In Oestrich-Winkel wurde die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen bisher in verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung berücksichtigt. Unser Familienbüro steht in allen Fragen rund um das Thema Kinderbetreuung zur Verfügung und die Jugendpflege ermöglicht Kindern und Jugendlichen sich im Rahmen verschiedenster Treffs Beteiligungsprojekten anzuschließen.

Auch wenn wir mit unseren Maßnahmen Kinder und Jugendliche partiell in die Politik einbezogen haben, möchten wir in den nächsten Jahren diesen Bereich auch strukturell ausbauen und festigen. Mit der Teilnahme am Vorhaben Kinderfreundliche Kommunen” haben wir dieses Ziel besiegelt. Es geht darum, junge Menschen in Oestrich-Winkel zu motivieren, sich an politischen Prozessen zu beteiligen, von denen sie bisher ausgeschlossen waren.

 

  • Lebensqualität langfristig gewährleisten

Als Bürgermeister ist mir daran gelegen, mich mit meinen Entscheidungen in die Zukunft zu orientieren – und das geht nur, wenn ich die junge Generation dabei im Auge behalte. Hierzu möchte ich Holger Hofmann (Geschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes e.V.) zitieren: „Kinderfreundlichkeit ist für die moderne Kommune nicht nur zukunftsweisender Standortfaktor und gesetzlicher Auftrag, sondern auch die Chance, in hohem Maße Identifikation zu stiften.”

Ob und in welchem Ausmaß eine Kommune unter der demographischen Entwicklung leidet, hängt davon ab, ob sie es schafft für die Zukunft eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten; also ob sie langfristig attraktiv bleibt, sowohl als Wirtschaftsstandort als auch als Wohnort für qualifizierte Arbeitnehmende und Fachkräfte.

Das sollte unser wichtigtes Ziel sein, denn sonst wird die nachfolgende Generation – sobald sie kann – abwandern, weil anderswo „das Gras grüner ist“. Wird die Stadt als zukunftsorientiert wahrgenommen, in der es sich als junge Bürger_innen gut leben lässt, gibt es weiterhin eine gesunde demographische Durchmischung zwischen Jung und Alt.

 

  • Alle mit ins Boot holen

Eine lebens- und liebenswerte Stadt möchte Oestrich-Winkel sein, die Mitbestimmungsmöglichkeiten auch für die junge Mitmenschen schafft, damit wir gezielt deren Alltag und Lebenswelt durch unser Verwaltungshandeln positiv beeinflussen können. Um diese Aufgabe professionell und effektiv umzusetzen, haben wir uns entschlossen, uns den Verein Kinderfreundliche Kommunen als Partner an die Seite zu holen. Wir sind froh und dankbar über die Unterstützung, die wir hier erhalten.

Besonders der Informationsworkshop im Mai 2018, an dem viele Entscheidungstragende aus unserer Kommunalverwaltung teilgenommen haben und der als Pilotprojekt in Oestrich-Winkel durchgeführt wurde, hat uns nach vorne gebracht. Das Pilotprojekt hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, das alle Beteiligten mit an Bord sind und über Kinderrechte Bescheid wissen.

Er hat nicht nur bei mir, sondern bei allen Teilnehmenden der Stadtverwaltung Oestrich-Winkel ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass letztendlich alle Entscheidungen, die wir täglich treffen und Prozesse, die wir anstoßen, eine Auswirkung auch auf die Kinder und Jugendlichen in unserer Kommune haben.

Wir haben in diesem Workshop verstanden, dass wir nicht erwarten können, dass die Kinder und Jugendlichen uns die Tür einrennen, um sich zu engagieren. Dass wir sie zur Beteiligung ermuntern und motivieren müssen und nicht von oben herab auf sie zugehen dürfen, nach dem Motto „wir sagen euch jetzt mal, was das Beste für euch ist“. Wir haben verstanden, dass diese Herangehensweise jeden zaghaften Beteiligungsversuch sofort zunichte machen kann, denn eine eigene Meinung kann nur dort entstehen, wo diese auch erwünscht ist und zugelassen wird.

Gefreut hat mich, dass bei der Analyse heraus kam, dass in Oestrich-Winkel schon vieles in die richtige Richtung gelaufen ist. Natürlich gibt es Verbesserungsbedarf, aber ganz unwohl scheinen sich Kinder- und Jugendliche in unserer Stadt offensichtlich nicht zu fühlen.

Wir haben qualitativ gute Krippen und Kindergärten, in die wir im vergangenen Jahrzehnt hohe Summen investiert haben. Und wir bauen weiter, der nächste neue Kindergarten ist gerade in die Planungsphase gegangen.

Wir unterhalten als eine von ganz wenigen Städten in Hessen eine Grundschule. Das machen wir mit dem Ziel, auf diese Weise die kleinere unserer beiden Grundschulen in unserer zu Oestrich-Winkel zählenden „Berg-Gemeinde Hallgarten” für die Zukunft erhalten zu können.

Anders als viele andere Kommunen bauen wir das Angebot an städtischen Ferien-Freizeiten permanent aus. Diese Angebote sind gerade für Kinder aus weniger einkommensstarken Familien oft die einzige Möglichkeit für eine erlebnisreiche Feriengestaltung.

Gerade haben wir die Kooperation mit dem kirchlichen Träger unserer zwei öffentlichen Büchereien erweitert, um diese zukunftsfähig zu gestalten. Eine bildungspolitische Entscheidung, die mir persönlich sehr am Herzen lag und die eine wichtige Komponente im Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche in Oestrich-Winkel darstellt.

Das sind die Einrichtungen und Aktivitäten, die wir derzeit in Oestrich-Winkel für Kinder und Jugendliche haben. Wir befinden uns in einem spannenden Prozess, der uns auf vielen Ebenen vor Herausforderungen stellt, aber wir sind gewillt, diese anzunehmen und strukturelle Veränderungen herbei zu führen, die es Kindern und Jugendlichen in Oestrich-Winkel ermöglichen, sich mit ihrem Lebensraum stärker als bisher zu identifizieren und ihre Rechte wahrzunehmen.

 


 

  • Unser Aktionsplan

Aus der bisher erfolgten Analyse wurde ein umfangreicher Aktionsplan entwickelt, dessen Aktivitäten sich über den Zeitraum 2018 bis 2020 erstrecken wird:

 

  • Im Maßnahmenplan vorgesehen ist die Einrichtung einer Stelle für eine/n Kinder- und Jugendbeauftragte/n. Diese hauptamtliche Person soll Ansprechpartner_in für Kinder- und Jugendliche sein und sie über ihre Rechte aufklären. Außerdem stellt sie das Bindeglied zur Politik dar, indem sie die Interessen der Kinder- und Jugendlichen in den politischen Gremien der Stadt Oestrich-Winkel vertritt. Sie stellt die Umsetzung des Aktionsplanes „Kinderfreundliche Kommunen“ sicher und führt das Projekt adäquat durch. Wir prüfen derzeit, ob diese Stelle als Stabsstelle mit strategisch-konzeptionellem Auftrag und mit einem Sitz im JSSK – im Ausschuss für Jugend, Sport, Soziales und Kultur – gestaltet werden kann.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt unseres Aktionsplanes besteht im Verfassen eines Leitbildes zur Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention in der Kommune, das in der Hauptsatzung der Stadtverordnetenversammlung verankert werden soll. Die UN- Kinderrechtskonvention ist richtungsgebend bei kinder- und jugendrelevanten Prozessen und Abläufen. Die Kinder- und Jugendrechte sollen damit stärkere Berücksichtigung finden. Dazu müssen wir alle mit ins Boot holen: Die Mitglieder_innen der politischen Gremien genauso wie die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung und die Mitglieder_innen der Steuerungsgruppe „Kinderfreundliche Kommunen“.
  • Natürlich bedürfen solche guten Vorsätze in der späteren Umsetzung auch einer Kontrolle. Daher planen wir, eine Prüfungsgrundlage für Gremien und Verwaltung zur Berücksichtigung der Kinderrechte zu schaffen. Die UN-Kinderrechtskonvention soll handlungsweisend für Prozesse innerhalb der Kommune Oestrich-Winkel werden.
  • Eine besondere Rolle kommt dabei der Steuerungsgruppe „Kinderfreundliche Kommunen“ zu, die aus Verwaltungsmitgliedern der verschiedenen Fachbereiche bestehen wird, aus Mitarbeitenden der örtlichen Kindergärten und Grundschulen und weiteren Einrichtungen, die sich für die Kinder- und Jugendrechte einsetzen. Abhängig von der jeweilig gerade aktuellen Maßnahme werden wir auch Politiker_innen sowie Fachpersonal in die Sitzungen einbinden.
  • Da die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention nur dann gelingen kann, wenn die Entscheidungsträger_innen in Oestrich-Winkel verstehen, worum es dabei geht, planen wir eine jährliche Informationsveranstaltung zu den Themen Kinderrechte und Kindeswohl für Mandatsträger und andere am Thema Interessierte. Zu den Fragen, welche Betätigungsfelder für Oestrich-Winkel als kreisangehörige Kommune von Bedeutung sind, und welche Aufgaben die des Kreises sind, durch die die Kommune mit präventiven Angeboten unterstützt werden können, soll es Schulungen für die Abgeordneten geben.
  • Kommen wir zu dem nächsten wichtigen Punkt unseres Aktionsplanes: Der aktiven Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am politischen Geschehen in Oestrich-Winkel. Eine im Jahr 2018 von der Jugendpflege durchgeführte Online-Umfrage unter der Zielgruppe hat ergeben, dass Kinder und Jugendliche in Oestrich-Winkel ihr Recht auf Mitsprache nutzen möchten. Das daraufhin gegründete Jugendforum kam gut an, Wiederholungen sind erwünscht. Für die Organisation hat sich eine Gruppe gebildet, die eng mit der Jugendpflege zusammen arbeiten wird. In Zusammenarbeit mit Vereinen und der offenen Jugendarbeit soll in einem nächsten Schritt geklärt werden, wie das Jugendforum zukünftig veranstaltet werden soll und welche konkreten Aufgaben es haben soll. Der Ausschuss für Jugend, Sport, Soziales und Kultur wird die Fragen nach einem Kinder- und Jugendetat sowie einer eigenen Internetplattform klären. In diesen Punkten wird auch die Zusammenarbeit mit unserer Nachbarkommune Eltville abschließend geklärt. Unser Ziel ist ganz klar: Eine politische Struktur ins Leben zu rufen, die es Kindern und Jugendlichen in Oestrich-Winkel ermöglicht, ihr Recht auf Mitsprache wahrzunehmen.
  • Notwendig und sinnvoll ist zudem die Erhöhung der verwaltungsinternen Kompetenzen in Sachen Prozessmoderation. Hierfür planen wir, ein bis zwei hauptamtliche Mitarbeitende der Stadtverwaltung Zugang zu einer Ausbildung als Prozessmoderator_innen zu verschaffen, mit dem Ziel, dass diese Personen längerfristig angelegte Prozesse zur Sicherung und Entwicklung der neuen Strukturen fachkundig unterstützen können. Diese geplante Ausbildung wird je nach Angebot neun bis 18 Monate Zeit in Anspruch nehmen.
  • Als Arbeitsschwerpunkte in den kommenden Jahren werden laut Aktionsplan außerdem die wichtigen Themenbereiche gesunde Ernährung in Kita und Schule, die Verkehrssituation vor Schulen und Kitas sowie eine verstärkte Präventionsarbeit im Hinblick auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Fokus stehen. In den Kindergärten ist mithilfe des IKK-Angebots die Einführung eines Ernährungsmoduls geplant, bei dem die Kinder in zehn Einheiten auf spielerische Weise den verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln und Küchengeräten lernen, mit dem Ziel, ihre Kondition und Haltung zu verbessern. Eltern und Fachpersonal erhalten Informationen, im Rahmen einer Steuerungsgruppe werden nachhaltige Strukturen festgelegt. In den Grundschulen wird am Ende eines Schuljahres das Clownstheaterstück „Fit n Faul“ aufgeführt. Gesunde Ernährung wird darin spielerisch thematisiert. Was die Verkehrssituation in Oestrich-Winkel im Hinblick auf Kinder- und Jugendliche betrifft, so bildet unsere Kommune im innerdeutschen Vergleich keine Ausnahme – Herausforderung Nummer Eins ist die allmorgendliche und allnachmittägliche Elterntaxi-Situation vor den Grundschulen und Kitas. Schwerpunkt der Betrachtung ist zunächst die größere der genannten Schulen im Ortsteil Oestrich, die von Kindern aus drei unserer vier Ortsteile besucht wird. Hier wird eine Begehung mit den Kindern, den Eltern und der Polizei stattfinden, mit dem Ziel, die Verkehrssituation vor der Schule zu verbessern.
  • Des Weiteren sind zahlreiche Präventionsangebote in Kitas und Schulen geplant, wie Selbstbehauptungskurse, Medienscout-Ausbildungen und Beratungs- und Bildungsangebote für Eltern. Dafür sind Kooperationen mit unserer Nachbarkommune Eltville angestrebt.
  • Punkt zehn der Maßnahmen in unserem Aktionsplan bildet das Vorhaben, eine Informationsveranstaltung für Kinder und Jugendliche zum Thema Kinderrechte anzubieten, um die Inhalte der UN-Kinderrechtskonvention bekannt zu machen. Zusätzlich werden wir über unsere Internetseite und die Möglichkeiten, die Social Media bietet, darauf aufmerksam machen. Darin eingebunden werden unsere Kitas, die Grundschulen und das Mehrgenerationenhaus Oestrich-Winkel.
  • Eine tolle Anregung, die aus der Online-Befragung und dem ersten Jugendforum in Oestrich-Winkel stammt, ist der ausdrückliche Wunsch nach einem Jugendfreizeitplatz. Die Kinder und Jugendlichen hätten gern einen Outdoor-Platz für sich, dessen Gestaltung sie gemeinsam planen können. Die Wünsche hierbei reichen von Trampolin über Trainingsgeräte, Basketballkörbe, einer Kunstplatte für flexible Kunstprojekte, Sitzgelegenheiten, Liegen und einem Trainingsboden. Oestrich-Winkel hat sich zum Ziel gesetzt, einen derartigen selbst gestaltbaren Raum für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
  • Weitere schöne Ideen sind die Gründung eines Musiker-Netzwerkes, ein Green-Weekend-Wochenende und die Teilnahme am European Youth Event in Straßburg. Bisher haben junge Musiker im Rheingau kaum Möglichkeiten, Proberäume zu finden oder regelmäßig auftreten zu können. Ein Musikernetzwerk könnte das mit vereinten Kräften ändern. Außerdem könnte eine eigene Online-Plattform dabei von Vorteil sein. Ziel ist es, gemeinsam mit jungen Musikern dauerhafte Strukturen aufzubauen, die ihnen die Möglichkeit selbstbestimmten Ausdrucks bieten, sowohl eines künstlerischen als auch eines organisatorischen.
  • In Kooperation mit der ortsansässigen Kinder- und Jugendfarm wird das Green Weekend Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, sich über Themen der Nachhaltigkeit zu informieren. Sie entwickeln eigene Ideen und nehmen auf diese Weise ihr Recht auf Mitsprache wahr.
  • Um dieses Recht auch außerhalb des gewohnten Lebensraumes verwirklichen zu können, planen wir außerdem, den Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an dem „European Youth Event“ in Straßburg zu ermöglichen. Dieser findet im zweijährigen Turnus statt, die Ergebnisse werden bis in das Europäische Parlament getragen.

 


 

  • Mit Schwung in die Praxis

In unserer Stadtverordnetenversammlung haben wir in erster Runde den Entwurf des Aktionsplanes erörtert. Es war sehr schön zu sehen, wie viele interessierte Kinder und Jugendliche dabei waren. Kinder und Jugendliche, die sich auf eine Mitarbeit freuen und die hoffen, dass viele Punkte des Aktionsplanes zügig umgesetzt werden.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht in akademischen Diskussionen verzetteln, sondern jetzt handeln und den aktuellen Schwung mitnehmen.

 

Autor

Michael Heil, Bürgermeister von Oestrich-Winkel